Das Feuerlöschwesen in der Kernstadt (1876-1945)
Freiwillige Feuerwehr seit 1876
Es gab zur damaligen Zeit auch verantwortungsbewusste Männer, die den Gedanken einer guten, einsatzfähigen Feuerwehr erkannten. Diese Männer finden wir vielfach in den Reihen der Turner, und es ist kein Zufall, dass auch die Freiwillige Feuerwehr Lich aus dem Turnverein hervorgegangen ist. Bereits im Jahre 1868 wurden Anregungen für die Bildung einer freiwilligen Feuerwehr gegeben, die jedoch erst acht Jahre später verwirklicht werden konnten.

So beschloss die Generalversammlung des Turnvereins am 25. November 1876, eine Liste zur Einzeichnung in der Bevölkerung herumzureichen, um auch andere, dem Turnverein nicht angehörende Bürger für die neue, freiwillige Aufgabe zu gewinnen. Unter der Obhut von Alexander Sartorius entstand nun in unserer Stadt die Freiwillige Feuerwehr. Wohldurchdacht und unter Mitwirkung des Stadtvorstandes wurden Satzungen vorbereitet, die in einer Versammlung am 31. Dezember 1876 zum Beschluss erhoben wurden. Dieser Tag muss als der eigentliche Gründungstag der Freiwilligen Feuerwehr angesehen werden.
Die Zahl der Gründer betrug 48, die Mitgliederzahl erhöhte sich von Jahr zu Jahr, ein Zeichen, dass der Gedanke der Freiwilligkeit auf recht fruchtbaren Boden gefallen war.
Der zu gleicher Zeit gebildete erste Vorstand hatte folgende Zusammensetzung:
- Kommandant: Karl Schön (Baumeister)
- Kommandant: Alexander Sartorius (Kaufmann)
- Schriftführer: K. Wimmenauer (Forstrat)
- Rechner: Heinrich Zimmer (Kaufmann)
- Beisitzer: Bürgermeister Jhring
- Dr. med. Johs. Jhring
- Georg Förster, Johann Kämmerer, Stephan Oßwald
- Heinrich Keck, Karl Schwenk, Wilhelm Langsdorf
Spontan waren auch die finanziellen Opfer, die von den Gründern und Mitgliedern erbracht wurden, denn neue Uniformen und ein Teil der Ausrüstung der neuen Wehr mussten selbst beschafft werden.
Nach den „Statuten der freiwilligen Feuerwehr zu Lich, nebst Dienstordnung und Dienstinstruction“, die am 23. Juni 1877 von dem großherzoglichen Kreisamt Gießen genehmigt wurden, unterzogen sich die ordentlichen Mitglieder der Wehr einer militärischen Organisation und einer einfachen Uniformierung, bestehend aus Messinghelm, Bluse und Gurte, wobei die Bluse von jedem Feuerwehrmann selbst zu stellen war.
In den Protokollen über die Versammlungen und Vorstandssitzungen der neuen Wehr ist zu lesen, dass die Wehrmänner mit Begeisterung und Hingabe den übernommenen Pflichten nachkamen. Eine edle Kameradschaft zeichnete die Gründer aus. Sie kannten keinen Kastengeist und keinen Standesdünkel. Kameraden in des Wortes wahrstem Sinne wollten sie sein, und sie waren es auch. Eine große Opferfreudigkeit konnte unter Beweis gestellt werden. Am 6. Februar 1877 gab das Vorstandsmitglied Heinrich Jhring der Wehr ein Darlehen von 300 Mark auf unbestimmte Zeit und das Vorstandsmitglied Heinrich Zimmer VII. in gleicher Weise 200 Mark. Am 10. Dezember 1877 gab der Vorsitzende Alexander Sartorius 200 Mark als Geschenk und 450 Mark als unverzinsliches Darlehen, die zur Anschaffung eines Gerätewagens mit Wasserbehälter bestimmt waren.
Eine strenge Disziplin beweist die Vorstandssitzung vom 14. Juni 1877, als ein Mitglied wegen wiederholter Widersätzlichkeit gegen die Befehle seiner Vorgesetzten aus dem Corps ausgeschlossen wurde. Eine hohe Auffassung vom Zweck der Wehr kommt dadurch zum Ausdruck, dass in den Protokollen mehrfach festgelegt ist: „Die Feuerwehr beteiligt sich offiziell an keinen-Vereinsfestlichkeiten“, sie nimmt auch Abstand von jeglicher politischen Betätigung.

Zur Zeit der Gründung der Wehr befanden sich die Löschgeräte noch im Erdgeschoß des Rathauses. Es konnte damals folgendes Inventar übernommen werden: 2 Spritzen mit Laternen, 1 Handfeuerspritze, 26 lederne Feuereimer, 344 blecherne Feuereimer, 6 Schläuche, 7 Feuerleitern, 6 Feuerhaken und 2 Halteketten. Laufend erfolgte die Ergänzung und Modernisierung des Geräteparkes, nachdem auch der Stadtvorstand von der Leistungsfähigkeit der jungen Wehr überzeugt war. Selbst die Bürgerschaft stellte durch freiwillige Spenden ihre Opferbereitschaft unter Beweis. So konnte im Jahre 1877 bereits eine Abprotzspritze angeschafft werden. Diese war damals das modernste Gerät der Wehr und kostete 1.810 Mark. Zu ihrer Anschaffung leistete auch der hessische Staat einen Zuschuss von 500 Mark.
Unermüdlich arbeitete die Wehr weiter an der Vervollkommnung ihrer Ausrüstung. Im Jahre 1878 wurde der Wehr ein Gerätewagen übergeben, und am 15. November 1879 beschloss man die Anschaffung eines Rettungssackes. Den nächsten Zuwachs an Geräten konnte die Wehr dann im Jahre 1905 verzeichnen, als eine 10 Meter hohe mechanische Leiter von der Firma Magirus erworben wurde. Die gleiche Firma lieferte auch um die Jahreswende 1921/22 eine Saug- und Druckspritze, die seinerzeit 20.000 Papiermark kostete. 1925 wurde der Gerätepark um einen Hydrantenwagen erweitert. Alle diese Geräte hatten eine lange Lebensdauer, mussten aber im Zeitalter der Motorisierung der Feuerwehren nach und nach außer Dienst gestellt werden.

Da die Räumlichkeiten zur Unterbringung der Geräte im Rathaus mit der Zeit zu klein wurden, beschloss die Stadt Lich, in der Oberstadt ein neues Gerätehaus zu errichten, das im Jahre 1907 seiner Bestimmung übergeben werden konnte. Die neugegründete Wehr musste ihr Können erstmals im Jahre 1882 unter Beweis stellen, als eine Scheune in der Kirchhofsgasse abbrannte und ein Brand die Töpferei am Obertor einäscherte. Weitere Einsätze waren in den Jahren 1885, 1888, 1890 und 1893 zu verzeichnen. Während des ersten Weltkrieges eilten viele Wehrmänner zu den Waffen, und ältere Bürger mussten die Lücken schließen. Erfreulicherweise kam es während dieser Zeit zu keinen größeren Bränden innerhalb unserer Stadt.
Erst das Jahr 1920 sollte die Schlagkraft der Wehr wieder auf eine harte Probe stellen. Am 11. Oktober 1920 brach in der Ziegelei in der Wallstraße ein Großbrand aus, der trotz des aufopferungsvollen Einsatzes der Löschmannschaften das ganze Anwesen einäscherte. In den folgenden Jahren wurde die Wehr zur Bekämpfung von größeren Bränden in der Brauerei, in der Oberstadt und auf dem Hofgut Kolnhausen eingesetzt.

Während der damaligen Zeit verstand es die Freiwillige Feuerwehr Lich nicht nur, ihren Dienst zu tun, sondern sie konnte auch Feste feiern. So beging sie am 16. Mai 1897 ihr 20jähriges Bestehen unter der Teilnahme von zahlreichen auswärtigen Wehren. In ähnlicher Weise feierte man 1902 das 25jährige Jubiläum der Wehr. Am 26. Juni 1904 wurde in Lich der Oberhessische Feuerwehrtag abgehalten. Von besonderer Bedeutung war das Fest des 30jährigen Bestehens der Wehr am 2. September 1906 auf dem Hardtberg. Bei dieser Gelegenheit wurde die prachtvolle Standarte der Wehr, ein Geschenk des Fürsten Carl zu Solms-Hohensolms Lich, feierlich geweiht. Großzügig wurde das goldene Jubiläum aufgezogen, das am 26. und 27. Juni 1926 unter Mitwirkung des Turnvereins und der übrigen Licher Vereine gefeiert werden konnte.
Im Jahre 1923 wurde durch den Vorstand der Wehr und unter Mitwirkung der Stadt Lich eine Freiwillige Sanitätskolonne gegründet. Die ersten Mittel, die zur Ausrüstung dieser Kolonne nötig waren, wurden durch eine Wohltätigkeitsveranstaltung der Freiwilligen Feuerwehr Lich aufgebracht. Auf Anordnung der Reichsregierung musste diese Sanitätskolonne im Jahre 1935 dem Roten Kreuz unterstellt werden. Bei der Errichtung des Kindergartens im Jahre 1928 wurden der Wehr weitere Räumlichkeiten zur Verfügung gestellt.
Gründung einer Musikkapelle
1925 gründete die Wehr eine eigene Musikkapelle, wozu die Mittel zum Teil durch Spenden der Bürgerschaft zur Verfügung gestellt wurden. Diese Kapelle trat zum ersten Mal am 50jährigen Jubiläum der Wehr an die Öffentlichkeit. Sie konnte trotz zahlreicher Schwierigkeiten ihre musikalische Arbeit bis zum Jahre 2012 fortsetzen.
Erste Motorspritze 1933
Mit dem wirtschaftlichen Aufschwung in der ersten Hälfte der 30er Jahre und der zunehmenden Erweiterung der Stadt Lich wurden auch die Brandgefahren größer. Ebenfalls fand die Motorisierung Einzug bei den Feuerwehren. So erhielt die Wehr im Jahre 1933 die erste Motorspritze. Es war eine tragbare Spritze, Marke „Flader“. Sie kostete 3.079,– RM. Eine freiwillige Sammlung unter der Bevölkerung erbrachte einen Betrag von 1.039,– RM, den Rest zahlte die Stadt und die Brandversicherungskammer. Eine weitere Motorspritze, Fabrikat „Bachert“, folgte im Jahre 1938. Durch die Anschaffung dieser beiden Motorspritzen bekam die Leistungsfähigkeit der Wehr einen wesentlichen Auftrieb.
Das Jahr 1938 brachte auch eine Neuorganisation des Feuerlöschwesens innerhalb des Landkreises Gießen. Es wurden acht Löschbezirke gebildet, von denen der Bezirk VI – Lich – der größte war. Da die beiden Motorspritzen keine Zugfahrzeuge besaßen, wurde seitens des Kreises ein Vorspannwagen gestellt, dem im Jahre 1942 ein leichtes Löschgruppenfahrzeug folgte. Damit war der erste Schritt zur Umstellung der handgezogenen bzw. pferdebespannten Löschgeräte auf motorisierte Löschgruppen getan.
Eine große Unterbrechung erfuhr die freiwillige Mitarbeit in der Wehr durch das diktatorische und militärische System in den Jahren vor und während des zweiten Weltkrieges, insbesondere durch den Erlass des damaligen Reichsinnenministers, der die Freiwillige Feuerwehr als „Feuerlöschpolizei“ direkt der Ortspolizei miterstellte. Trotzdem fanden sich damals Männer bereit, unter erschwerten Bedingungen die Freiwillige Feuerwehr Lich aufrecht zu erhalten.

Im Verlaufe des zweiten Weltkrieges musste ein großer Teil der ausgebildeten Kameraden den blauen mit dem grauen Rock tauschen, und ältere Bürger, aber auch männliche und weibliche Jugendliche wurden zum Dienst in der Feuerwehr verpflichtet. Zu größeren Einsätzen innerhalb unseres Stadtgebietes ist es jedoch während des Krieges nicht gekommen.
Hart traf es allerdings diejenigen Angehörigen der Wehr, die der motorisierten Einsatzgruppe Löschgruppenfahrzeug 8 (LF 8) der damaligen LS-Feuerwehr zugeteilt waren.
In zahlreichen Einsätzen in Frankfurt am Main, Offenbach, Kassel, Gießen und anderen Orten wurde von den Männern ein selbstloser Einsatz bis an die Leistungsgrenze verlangt. In den sinnlos zerbombten Städten und in den Feuerstürmen der großen Flächenbrände lernten diese Männer die ungeheure Macht des Feuers kennen. Mit dem Zusammenbruch im Jahre 1945 endete zunächst auch die Tätigkeit der Freiwilligen Feuerwehr Lich.